Mehr Coach – weniger Expertin!
Der Auftrag des Vorgesetzten lautet: ,Die Coachee soll sich als Expertin in der Führungsrolle mehr zurücknehmen und mehr Coaching-Kompetenz entwickeln‘. Leider hat er ihr nicht genauer gesagt, woran man das im Einzelnen merken oder messen könnte – und sie hat auch nicht genauer gefragt. Man hat ihr von HR-Seite dazu eine Ausbildung empfohlen, dafür fehle ihr aber die Zeit, sie möchte das, was nötig sei, gerne ‚on the job‘ lernen, mit möglichst wenig zusätzlichem Zeitaufwand.
Nach dem Motto ‚Alles ist besser als Nichts‘ schlage ich vor, dass wir uns drei für ihre Rolle typische aktuelle Gesprächssituationen kurz im Rollenspiel anschauen (Worum ging es ihr dabei? Wie ist sie vorgegangen und wie hätte man es ggf. ‚mit Coaching-Kompetenz ‘ anders machen können?). Anschließend würden wir anhand einer Checkliste nochmal genauer definieren, was Coaching-Kompetenz in der Führungsrolle konkret und im Detail heißen könnte.
Die drei Gesprächs-Szenen analysieren wir jeweils kurz mit dem Vier-Seiten Modell (SvThun), ich gebe Feedback aus Mitarbeitenden-sicht und zeige Alternativen.
Dazu erkläre ich, dass sich ‚Coaching-Kompetenz’ darin zeigt, wieweit es gelingt, durch eine aufmerksame Gesprächsführung oder Moderation zu mehr Kontextverständnis, Rollenklarheit und eigenständigen Lösungsideen beizutragen und beim Gegenüber Selbstkenntnis, Selbstwirksamkeitserleben und vor allem Selbstverantwortung zu fördern, statt zu instruieren, abzufragen oder zu belehren.
Danach schauen wir uns den Fragebogen / die Checkliste zur Coaching-Kompetenz an. Ich erkläre die Kriterien, und die Coachee nimmt eine Selbsteinschätzung vor. Dadurch weitet sich ihr Blick auf unterschiedliche Kriterien, und sie kann sich dann gezielt einige Aspekte aussuchen, von denen sie sicher ist, dass sie sie besser können möchte bzw. die unverzichtbar sind und von ihr erwartet werden.
Auf diese Weise haben wir eine Richtschnur für die Folgesitzungen, in denen wir jeweils ein bis zwei aktuelle Gespräche im Rollenspiel vor- oder nachbereiten. Gleichzeitig empfehle ich, die Checkliste zu nutzen, um sich auch von anderen Feedback zu holen und sie ggf. zu erweitern um andere Erwartungen, die ihr begegnen.
Die Coachee hat schnell verstanden, worum es gehen könnte und erlebt schon nach der ersten Sitzung kleine Erfolge. Nach drei ‚Trainingsrunden‘ treffen wir uns weiterhin sporadisch online zur Vorbereitung schwieriger Gespräche oder Moderationen und gelegentlich in Präsenz, wenn die Coachee aufkommende Konflikte umfassender verstehen und besser handhaben möchte.
Situativ eine coachende Haltung einnehmen zu können und coachende Methoden zur Reflexion und Gesprächssteuerung zu nutzen, wird zunehmend zum kritischen Erfolgsfaktor im Rahmen von Führung, Projekt- und Gruppenleitung.
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Bildquelle: Fischer-Epe und Reissmann, Coaching zu Führungsthemen. Rowohlt 2016.
